Starke und Schwache Nachhaltigkeit

In der Diskussion rund um das Thema Nachhaltigkeit existieren zwei Paradigmen, welche man als sogenannte „starke“ und „schwache“ Nachhaltigkeit[1] (engl.: weak vs. Strong sustainability) bezeichnet.

Weder das eine noch das andere Konzept kann per se verworfen oder einfach falsifiziert werden.  Vielmehr basieren sie auf Prämissen, welche kaum widerlegbar sind. In der Praxis gesteht man beiden Konzepten eine gewisse empirische Evidenz zu, welche sowohl gegen wie auch für die jeweilige Sichtweise spricht.

Doch was genau ist darunter zu verstehen?

Schwache Nachhaltigkeit

Konzept

Die schwache Nachhaltigkeit ist eine relativ „tolerante“ Forderung nach Nachhaltigkeit. Für ihre Vertreter ist eine Handlung dann nachhaltig, wenn es dem System als Ganzes in der Summe etwas bringt bzw. dieses zumindest in der Summe nicht verschlechtert. Die schwache Nachhaltigkeit ist also eine Art Minimalbedingung für Nachhaltigkeit im Sinne des Erhalts eines bestimmten Wohlfahrts- / Lebensqualitätsniveaus oder einer Chancengleichheit.

Dabei geht man zumindest partiell von einer Substituierbarkeit verschiedener Ressourcen bzw. Kapitalien aus. Solche Ressourcen sind etwa [2]:

  • Sachkapitalien (Produktionsmittel, Transport und Infrastruktur)
  • Humankapitalien (vorhandenes Wissen, soziale Institutionen etc.)
  • Naturkapitalien (unsere natürliche Umwelt, Tiere, Pflanzen, Rohstoffe etc.)

Eine Handlung ist nun genau dann nachhaltig, wenn das Gesamtkapital des betrachteten Systems, hier bestehend aus natürlichen Ressourcen, Human- und Sachkapital, gleich bleibt oder wächst.

Naturkapital als eine gleichrangiger Ressourcen

Mit dem Konzept der schwachen Nachhaltigkeit kann eine Massnahme unter Umständen auch dann nachhaltig sein, wenn diese zu Lasten des Naturkapitals geht. Beispielsweise, wenn der Verlust durch steigendes Human- oder Sachkapital  ausgeglichen wird. Ein Abbau von Rohstoffen wie Kohle oder eine übermässige Förderung von Rohöl ist so gegebenenfalls durchaus zu rechtfertigen. Auch ist der Carlowitz’sche Waldbestand der Silvicultura oeconomice  grundsätzlich substituierbar bzw. abbaubar, sofern seine natürlichen und kulturellen Aufgaben in kommenden Generationen durch andere Mittel befriedigt werden können. Ein solches Verständnis steht so sinngemäss auch weniger in der Tradition dargestellter Untergangsszenarien und anerkennt tendenziell eher die Rolle des technischen Fortschritts.

Schwierigkeiten:

Die Beurteilung von Massnahmen anhand eines solchen Konzepts gestaltet sich naturgemäss schwierig, zumal eine Bewertung immer mit zahlreichen Annahmen verbunden ist.  Neben den ganz allgemeinen Grundsatzfragen zur Nachhaltigkeit, wie beispielsweise „was bedeutet oder beinhaltet Chancengleichheit?“ oder „was ist ein gutes Leben? Wie misst man das Wohlfahrtsniveau?“ muss beispielsweise die monetäre Bewertung der verschiedenen Kapitalstockarten festgelegt werden. Insbesondere dort, wo kein Marktpreis vorhanden ist.

Falls man es operationalisieren möchte, welche Parameter werden mit einbezogen. (Was ist der Wert der Naturschönheit)

Stagnation als Basisannahme

Die Forderung der Konstanz des Wertes des aggregierten Kapitalstocks kann, je nach Umfang der Integration zukünftiger Szenarien, im konkreten Fall sowohl zu schwach wie auch zu stark sein.

Beispielsweise unterstellt man dem Paradigma der schwachen Nachhaltigkeit in der Regel die Prämissen eines fehlenden technologischen Fortschritts und eines fehlenden Bevölkerungswachstums. Mitunter kann man sich aber durchaus Situationen vorstellen, wo ein gewisser Abbau des Kapitalstocks durch den technologischen Fortschritt kompensiert werden kann. Damit erscheint das Kriterium der schwachen Nachhaltigkeit in diesem Fall als zu streng.  Andererseits unterstellt ein positives Bevölkerungswachstum auch ein positives Wachstum des Kapitalstocks, damit das Wohlfahrtsniveau konstant ist. Insbesondere dann, wenn man dieses auf Individuen runterbricht und beispielsweis als Pro/Kopf Konsum misst.

Wesentliche Kritik

  • Ist es möglich natürliche Ressourcen unbegrenzt durch reproduzierbares Kapital zu ersetzen?
  • Kann steigende Verfügbarkeit von Gütern Individuen für sinkende Umweltqualität kompensieren?
  • Unsicherheit über Entwicklung von Ressourcenbeständen, kritische Schwellenwerte…

Ø Konsequenz aus Kritik: starke Nachhaltigkeit

Starke Nachhaltigkeit

Im Unterschied zur schwachen Nachhaltigkeit fordert das Paradigma der starken Nachhaltigkeit die Konstanz des Wertes des Naturkapitals. Charakteristisch für die Vertreter des starken Nachhaltigkeitsbegriffs ist, dass ihr Optimismus bzgl. den einzelnen Substitutionsmöglichkeiten wesentlich geringer ausfällt. Deshalb betonen sie die Bedeutung eines intakten Naturkapitalstocks. Dass sich der Naturkapitalstock zugunsten einer anderen Kapitalart drastisch reduzieren kann, ist für sie undenkbar. Menschlich produziertes Kapital und natürliches Kapital sind nur begrenzt austauschbar.

Mittelposition

Grundsätzlich erscheint die ‚Mittelposition’ zwischen der starken und der schwachen Nachhaltigkeit, die beispielsweise von diversen Landesregierungen vertreten wird, als ein gangbarer Weg

In der oben genannten Mittelposition werden Kapitalsubstitutionen nur zugelassen, wenn sie nicht systematisch zu Lasten einer Nachhaltigkeitsdimension erfolgen und sie die Belastbarkeit der Biosphäre berücksichtigen.


Fussnoten:

[1] rückgehend auf Ott und Döring. Siehe Ott & Döring (2004)

[2] eine so gewählte Kategorisierung der Ressourcen ist im Einklang mit dem 3-Säulen Modell der Nachhaltigkeit, auf welches wir nachfolgend eingehen werden.

Literatur: